
Ausgangspunkt der Filmreihe, die in fünf Teilen als Kooperation mit dem Kino des Historischen Museum gezeigt wird, ist der Zusammenhang von Peripherie und Perspektive. Welche Perspektiven lassen sich auf Randbereiche und vermeintlich klare Trennlinien zwischen Peripherie und Zentrum werfen? Und wie sind Fragen nach Formen des Zusammenlebens, der Konstruktion und Beschaffenheit von Landschaften, Körpern und Erzählungen damit verbunden?
Zum Abschluss der Filmreihe ist Charlotte Prodgers erster Langfilm Stoneymollan Trail zu sehen. In ihren vorwiegend filmischen, aber auch skulpturalen, fotografischen und textuellen Arbeiten setzt sich die Künstlerin mit den komplexen Verhältnissen von Technologie, Zeit, Sprache und Körper auseinander. Dabei arbeitet sie kontinuierlich aus einer subjektiven Haltung mit biografischen Verbindungen, Bezügen zu Queer Culture und der Bewegung durch vermeintlich leere Landschaften.
Stoneymollan Trail (2015, 52 min) ist nach einem historischen Pfad in Schottland benannt, der als ,coffin road‘ für den Transport der Toten aus den Dörfern zu den Friedhöfen genutzt wurde und den Meeresarm Firth of Clyde mit dem See Loch Lomond verbindet. Ansichten dieser Gegend, aber auch andere Berg- und Küstenlandschaften, wie die Bucht von Cromarty Firth und deren Ölbohrtürme finden sich neben Aufnahmen von Wolkenformationen, verschneiten Wegen, Felsen, einem schlafenden Fuchs oder Lastwagen auf unbefestigten Straßen, die Charlotte Prodger im Zeitraum von 1999 bis 2013 in einem persönlichen Archiv von MiniDV-Tapes gesammelt hat. Stellenweise zerfallen die Bilder der Video-Tapes in Muster aus Rechtecken und Streifen. Die Aufarbeitung des Materials ergänzt Prodger mit hochaufgelösten Aufnahmen, geometrisch abstrakten Farbkompositionen auf Monitoren, iPhone-Videos sowie einer längeren Schwarzbildsequenz und thematisiert neben der eigenen, subjektiven Vergangenheit auch die technische und ästhetische Entwicklung des Mediums Video selbst. Über die prothesenhafte Verwendung der Handykamera und bewegte wechselseitige Darstellungen ihres Verhältnisses zur Landschaft stellt sie eine unmittelbare Verbindung von Körper, Technik und Umgebung her. Im Gegensatz dazu stehen statische Einstellungen, die Ausblicke aus verschiedenen Fensterrahmen auf Glasgow zeigen und mit gesiebdruckten Logos von Straßennamen überlagert werden, in denen die Künstlerin gewohnt und gearbeitet hat. Ihre Auseinandersetzung mit Arbeit und Erinnerung verknüpft sie über Bezüge zu anderen Künstler:innen durch aufgezeichnetes Voiceover aus eingesprochenen E-Mailkonversationen, Erzählungen und anderen Texten. Auszüge aus Nancy Holts Essay Sun Tunnels, Samuel Delaneys The Motion of Light in Water und einer Konzertansprache Nina Simones benennen Fragen nach der Art und Weise des Verbundenseins mit Anderen in soziokulturellen Kontexten.
Charlotte Prodger lebt und arbeitet in Glasgow. Ihre Arbeiten wurden u. a. im Kunst Museum Winterthur, Stedelijk Museum/Amsterdam, SculptureCenter/New York, Kunstverein Düsseldorf, in der Bergen Kunsthall, Temple Bar Gallery/Dublin, bei Hollybush Gardens/London, im Studio Voltaire/London, in The Renaissance Society/University of Chicago und in der Tate Britain gezeigt. Prodgers Filme waren beim London Film Festival, New York Film Festival, Toronto International Film Festival, Courtisane Festival/Gent und bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen zu sehen, ihre Performances bei der New York Book Art Fair, MOMA PS1 bei Tramway/Glasgow sowie in der Tate Britain. Ihre Texte erschienen in Frieze, F.R. DAVID und Happy Hypocrite. 2018 erhielt Charlotte Prodger den Turner Prize, 2019 vertrat sie Schottland bei der Venedig Biennale.
Eingeladen von Kathrin Wojtowicz